WV-Nr: 1980-04
"Am Ende des Höhenflugs" 1980
150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand
Privatbesitz


WV-Nr: 1979-02
"Ikarus 1" 1979
270 x 200 cm, Acryl auf Leinwand
Bayer. Staatsgemäldesammlung, München
(erworben 1981) Dauerleihgabe in der
Vertretung des Freistaates Bayern
bei der Europäischen Union, Brüssel




WV-Nr: 1979-04
"Weiße Federn auf feuchter Erde" 1979
150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand



WV-Nr: 1979-08
"Ozean Hoffnung" 1979
150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand
Privatbesitz


WV-Nr: 1979-05
"de platte jungle" 1979
150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand



WV-Nr: 1980-01
"Wandlung" 1980
200 x 270 cm, Acryl auf Leinwand
Städtische Galerie im Lenbachhaus, München
(erworben 1980)
TEXT-ARCHIV

Armin Zweite
REINHARD FRITZ: NEUE BILDER

Katalogtext zur Ausstellung in der
Autoren Galerie 1, München 1980


“Am Ende des Höhenflugs” heißt eines der neuesten Bilder von Reinhard Fritz. Die querrechteckige Leinwand überzieht ein zartes, differenziertes Grün, das sich stellenweise auflichtet oder mehr verschattet. Kühlere Zonen wechseln mit wärmeren ab. Bräunliche bzw. Zartviolette Nuancen modifizieren die Grundfarbe, die sich aus durchsichtigen, einander überlagernden Schichten aufbaut. Eine nur angedeutete graphische Binnenstruktur erweckt den Eindruck, als blicke man aus großer Höhe auf eine Wiese, über die ein leichter Wind streicht. Diese Fernsicht steht im Kontrast mit verhältnismäßig großen, als nah empfundenen Elementen, die sich als Variation nur einer Grundform zu erkennen geben. Da auf jedes präzisierende Detail verzichtet wurde, bestimmen sich die Figurationen allein vom Umriß her, der die verschiedenen Farbpläne durchbricht und die helle Grundierung freilegt. Einerseits wird dadurch die latent wirksame Illusion von Realität aus der Vogelperspektive aufgehoben, andererseits der Verweis auf Wirklichkeit dadurch wieder verstärkt, daß die ausgesparten Partikel als weiße Federn deutbar sind. Unterschiedlich groß, verteilen sie sich in lockerem Rythmus über das Bildfeld, wobei allerdings ihre Spulen und Fahnen alle in etwa die gleiche Richtung einnehmen, so daß sich eine diagonale Bewegung ergibt. Die Ambivalenz von Figur und Grund, von Bewegung und Ruhe, von Fülle und Leere, von Nähe und Ferne, prägt den anschaulichen Charakter dieser Arbeit ebenso wie die Verquickung illusionärer Wirklichkeit mit der Realität von Zeichen. Als solche nämlich werden die Negativformen der Federn primär empfunden, im Gegensatz zu der pulsierenden Farbe. Dabei ist der Titel für das Verständnis des Gemäldes von entscheidender Bedeutung. “Am Ende des Höhenflugs” spielt auf die mythische Gestalt des Ikarus an, der sich in seinem Übermut der Sonne zu weit näherte, so das die Wärme das Wachs seiner künstlichen Flügel zum Schmelzen brachte und er nach einem Sturz aus der Höhe kläglich in den Fluten ertrank. Dieser erzählerische Kern ist ausgeblendet. Wir sehen nichts als die aufs Land gewehten Federn, aus denen sich vielleicht neue Schwingen fertigen ließen. Indem aber das Bild einerseits Illusion schafft und sie zugleich aufhebt, stellt sich die Frage nach einem neuen Daedalus kaum ernsthaft. Wer anders sollte es sein als der Maler selbst, der hier bewußt oder unbewußt die Arbeit am Mythos wieder aufnimmt und seinem Versuch malerisch prägnanten und ikonographisch verschlüsselten Ausdruck verleiht. Der spielerische Charakter eliminiert jeden Tiefsinn ebenso wie die fast humorvolle Komponente, die nicht zuletzt darin liegt, das die Zeichen für manchen Betrachter eine ganz andere Bedeutung annehmen können. So mag es in der Tat Leute geben, die angesichts dieses Gemäldes von weißen Mäusen reden. Die feinsinnige Assoziation kippt für sie in pure Banalität um, ohne das der Maler sich verananlaßt sieht, durch eindeutigere Motive dieses zu verhindern. Das hat seinen guten Grund. So wie der koloristische und formale Aufbau alles in der Schwebe läßt, erfährt auch der Sinn keine definitive Festlegung. Alles bleibt offen und mehrdeutig. Die Botschaft erschließt sich erst im empfindenden Nachvollzug. “Schöpfung als Genesis”, dieses Wort Klees kommt einem unwillkürlich in den Sinn, wenn man sich die Struktur der Bilder von Reinhard Fritz vergegenwärtigt.

Andere Arbeiten mit Titeln wie “Ikarus I” und “Ikarus II” bestätigen diese Beobachtungen. Das Bild “Weiße Federn auf feuchter Erde” greift das angedeutete Thema noch einmal auf, wobei in diesem Fall die Überdeckung kühler und warmer Brauntöne dem ganzen einen satten schweren Grundton verleiht, den die Strudelbewegung der über das Bildfeld ausgestreuten Federn ins Lichte. Gelöste, fast Heitere verwandelt. Besonders an der Komposition “Ozean Hoffnung” wird die Leichtigkeit, die gleichsam dahintreibende Konfiguration noch unspezifischer Zeichenelemente spürbar. Assoziationen an fernöstliche Tuschmalereien werden ebenso wach, wie die Erinnerung an die informelle Malerei, mit denen Fritz sich zu Beginn seiner Entwicklung intensiv auseinandersetzte. Der Prozeß von Gestaltfindung thematisiert sich in derartigen Bildern: alles scheint im Fluß und die Zeichen bilden quasi trockene Inseln im Schwemmland von Farben.

In dem Gemälde mit dem Titel “De platte jungle” ist das Vokabular der Formen erheblich erweitert. Blattkeimlinge, Federn, Schlingpflanzen, Farngewächse vermischen sich mit freien, nicht näher benennbaren Gebilden, so als gehe Vegatabiles ins Abstrakte über und umgekehrt. Diese Metamorphose von Organischem und Anorganischem vollzieht sich in einer äußerst flachen, aus rosafarbenen und violett-braunen Farbschleiern aufgebauten Schicht. Dunkle Partien begleiten die weißen oder hellroten Aussparungen wie Schatten, so daß sich die Illusion verstärkt, die flachen Formen würden knapp über dem Meeresboden dahintreiben. Der holländische Titel des Bildes verweist auf Regionen, wo solches wahrzunehmen ist: bei einsetzender Ebbe im Wattenmeer.

Aber wie bei allen seinen Bildern geht es dem Maler auch hier nicht um die Fixierung eines Natureindrucks. Indem er die vordergründige Motivebene sehr rasch transzendiert, vergegenwärtigt er ein bildnerisches Verfahren, das den Vorgang des Malens als spontanen, unreflektierten Akt mit dem Prozeß der Gestaltfindung als kalkuliertem Prinzip in Einklang bringt. Die Verknüpfung floraler und abstrakter Elemente mag durch die späten Werke von Matisse inspiriert sein, während die Vorstellung des Malens als einer Parallele zum Schöpfungsvorgang letztlich auf Klee zurückgehen dürfte. Der Rekurs aufs Ornamentale wird damit ebenso vermieden, wie eine Mystifikation der verwendeten Motive. Spontaneität und Reflexion halten sich die Waage. Die poetische Dimension der Bilder, ihr Spiel zwischen Entäußerung und Verinnerlichung, zeigt, wie konsequent Reinhard Fritz seinen Weg verfolgt hat, denn im Vergleich zu früheren Arbeiten erweisen die Gemälde und Aquarelle aus den letzten Jahren als entschiedener Fortschritt.

Man darf gespannt sein, welche Regionen sein Flügel noch streift. Eines seiner jüngsten Bilder mit dem schönen und aufschlußreichen Titel “Wandlung” deutet jedenfalls an, daß mit der Dauer des Flugs auch die Höhe stetig zunimmt, ohne daß freilich das, was unter einem liegt, sich dem verklärten Blick entzieht.

Armin Zweite, München im August 1980




Anzeige in: Das Kunstwerk, Ausgabe: 5/1980, Seite 51 unten

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