Text-Archiv


WV-Nr: 1980-02

"Sommermärchen" 1980/81
200 x 270 cm, Acryl auf Leinwand



WV-Nr: 1986-02

"Seestern mit kleinem Fisch" Paris 1986
150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand




WV-Nr: 1996-03

"Im Dschungel der Großstadt" 1996
150 x 200 cm, Acryl auf Leinwand

Horst Ludwig. Reinhard Fritz - Biomorph und geometrisch

Katalogtext zur Ausstellung in der Rathaushalle München 1997

Seit Mitte der siebziger Jahre wandelt Reinhard Fritz das für sich gefundene Flügel- und Federmotiv gestaltungsreich in seinem Œuvre ab. Daneben arbeitet er auch mit geometrisch-kubischen Formen, mit der Vielfalt von Seegetier und mit spielerisch adaptierten Sujets, die sich der gegenständlichen Zuordnung entziehen. Dabei ist das Prinzip von Rhythmisierung und Reihung, von Negativformen, Leere und Fülle von kompositorischer Relevanz. Das geschieht durch die Großformen, welche die Bildfläche gliedern. Ebenso wichtig wie sie ist aber auch der Grund, auf dem sie stehen.

Diese Eigengestaltung des Grundes beginnt schon sehr früh, sie hängt mit den künstlerischen Anfängen von Reinhard Fritz zusammen. Bereits in seinem Werk "Ur" von 1975 kommt es zu dieser Differenzierung der Fläche. Gewiß spielt hier auch das Acryl, mit dem der Künstler arbeitet, eine konstituierende Rolle. Denn Acrylfarben sind wasserverdünnbare Kunststoffdispersionsfarben, die wasserfest auftrocknen - und das auch bei lasierenden Aufträgen. Das bedeutet, sie können wie Aquarellfarben verarbeitet werden, sehr dünn und verlaufend, oder auch deckend. Die Farben trocknen rasch und erlauben dem Maler ein schnelles Gestalten. Nach dem Trocknen sind die Farben in Wasser nicht mehr löslich, wodurch es möglich ist, Lasuren und verschiedene Farbschichten übereinanderzulegen. Solche Eigenschaften wurden von Reinhard Fritz von vornherein in seinen Malakt und Gestaltungswillen einbezogen. So erkennen wir seit den siebziger Jahren deutlich, wie sehr er auf Monochromie verzichtet und stattdessen ein differenziertes Farbbild schafft, das mit vielen Nuancen, Verläufen und Übergängen arbeitet.

Sein Werk "Sommermärchen" von 1981 dokumentiert höchst anschaulich seine künstlerischen Intensionen. Mit sehr nassem Pinsel und einer bewegten Gestik wird ein wogender Grund geschaffen - mit vielen Farbverläufen und verschwimmenden Formationen. Ausgespart wird eine Fülle von Klein- und Kleinstformen, über die gesamte Fläche gestreut, in der Art von Lanzettformen, die vegetabilischen oder auch zoomorphen Teilen gleichen. Solche Negativformen können vollständig weiß bleiben oder auch kontrastierend zum Umraum andersfarbig sein oder auch mit dem Umraum koloristisch zusammenfließen. Sie bilden in ihrer Summe rhythmische Schwingungen und Strömungen, die vom Grund partiell noch verstärkt werden können. Assoziativ stellen sich so Meeresausschnitte mit ihrem Wellentanz, Tangrhythmus, Seegetier und Sonnenglanz ein, eine märchenhafte und nicht reale Welt, worauf der Titel des Bildes hindeutet. Auf solche halb realen Zwischenwelten weisen auch die vegetabilischen Formen hin, die zwar von möglichen und bekannten biologischen Gebilden ausgehen, sie aber bildimmanent deformieren und abwandeln.

Noch markanter weist bereits "Ikarus" von 1979 auf biomorphe Formen im Zwischenbereich von Realität und Imagination hin. Hier erkennt man auch, dass es Reinhard Fritz nicht primär um die Wiedergabe von Federn oder dergleichen gehen kann, vielmehr um eine Komposition mit Intervallen. Gleichwohl klingt das Ikarus-Motiv frei und spielerisch an, auch als Hinweis darauf zu verstehen, dass der Künstler eben nicht abstarkt arbeitet, sondern sich auf die sichtbare Welt formal und inhaltlich bezieht. Die Gemälde "Lingam" von 1983, "La Nuit des Rois" von 1984 oder auch "Seestern mit kleinem Fisch" von 1986 variieren diese Thematik des Künstlers.

Um 1992 tauchen im Œuvre von Reinhard Fritz plötzlich geometrische Gebilde auf, welche die bisherigen biomorphen ersetzen. Das heißt, dass der Künstler die Gründe mit ihren wogenden und fließenden Strömen aber beibehält. Dabei hat es bisweilen den Anschein, als stünden ganz reale Gebilde auf einem Sandstrand, plastisch und umgreifbar herausgebildet mit den entsprechenden Schlagschatten. Manchmal aber auch weisen die Schatten in verschiedene Richtungen, die Perspektive ist nicht einheitlich, und Grund und Objekt sind perspektivisch nicht aufeinander bezogen. "Im Dschungel der Großstadt" von 1994 zeigt zahlreiche geometrische Hohlformen in schräger Draufsicht, man kann dabei durchaus an Hochhäuser einer City denken, die mit dem Grund nicht logisch und perspektivisch verbunden sind, sondern surreal auf ihm zu schweben scheinen. Diese nichtmimetischen Strukturen sind uns ja bereits im Werk von Reinhard Fritz bekannt. Neuartig ist die erbarmungslose Klarheit solche geometrischen Formen, die sich in kristalliner Schärfe vom Ambiente abheben. Auch solch ein Werk erschließt sich dem Betrachter erst ganz, wenn er nah herantritt, um es auch in seinen Kleinstformen zu studieren. Erst dann sieht er die Leinwandstruktur, die mit den Farbverläufen eine innige Verbindung eingeht und nimmt das Eigenleben der Pinselschrift wahr, die nicht abbildet, sondern wie in der Malerei des Informel Gestik und Atem bedeutet.


TOP