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Reinhard Fritz, Maler und Musiker











Reinhard Fritz, Maler und Musiker











Dr. Rolf Legler, Laudator











Gäste des Festaktes im Münchner Künstlerhaus






































Seerosenring 2016 an Reinhard Fritz

Laudatio von DR. ROLF LEGLER am 18. Februar 2016 im Münchner Künstlerhaus

Lieber Reinhard ...
wir sind uns 1980 anlässlich deiner ersten Einzelausstellung in Helmut Vakilys Autoren Galerie 1 über den Weg gelaufen. Mit den überwiegend großformatigen Acrylbildern mit kleinteiligem Gerät, ausschließlich Federn, konnte ich spontan nicht viel anfangen. Bei der zweiten Einzelausstellung, 1981 ebenfalls in der Autoren Galerie 1, vermerkte die Rezensentin der SZ wohlwollend, dass ,,neuerdings auch nicht Feder ähnliche Formen" Einzug in die Fritz'sche Bilderwelt gefunden hätten.

Inzwischen hatte mein Bildgedächtnis durchaus bemerkenswerte Bezugspunkte zu der von Fritz bevorzugten Bildstruktur gefunden. Kein Geringerer als Henri Matisse hatte 1946, also 15 Jahre nach seiner Tahiti-Reise, eben diese Weise der Bildstruktur für seine Riesenformate Ozeanien, Der Himmel (173x364 cm) und Ozeanien, Das Meer (173x364 cm) gewählt. Überdies hatte mich meine enge Bekanntschaft mit anderen Malern meiner Generation, z.B. Willy Holderied, Peter Tomschiczek, Helmut Vakily, Thomas Weil etc., die Erkenntnis der,,glyphischen Kunst" der Gegenwart gelehrt - Schrift, Schriftbild, Bilderschrift, Zeichenfolgen und Zeichensysteme. Und last not least folgten in zeitlich kurzem Abstand die beiden ersten Künstlerbücher von Reinhard Fritz ,,Liebeszauber' (1982) und ,,Weit von Mozart entfernt'(1985). Auch das Geheimnis der Glyphe,,Feder" war mir inzwischen kein esoterisches Phänomen mehr. In Konsequenz aus alledem war der Essay-Band ,,Das Malerbuch als künstlerische Aufgabe" (1989) als intensive Co-Produktion entstanden. Und dort war über Fritz bzw. dessen Art zu malen zu lesen:

„Neben die weiche und transparente Aquarellfarbe tritt die kräftiger akzentuierende Acrylfarbe. Federwälder. Zurück bleibt am Ende dieser Kette die einzelne Feder, aber nicht als mimetisches Naturzitat, vielmehr als Glyphe, also Bildzeichen. Gewonnen erst nach einer langen systematischen, aber immer liebevollen Bemühung um dieses Partikel eines Vogelflügels. In seiner Konsequenz ein faszinierendes Kapitel der künstlerischen Formfindung. Die Feder bleibt ein wichtiges Requisit, ein Buchstabe in einem Alphabet mit ganz persönlich gefundenen Buchstaben. Der Strand ist voll davon: Steine, Muscheln, Krebse, Wellenbewegungen. Farne, Blätter, Blumen kommen später hinzu. Immer steht am Ende solcher Naturaneignung eine Glyphe, die wiederkehren wird in seinen Bildern. Eine Poesie des Unbedeutenden, des Unbeachteten entsteht, beschrieben mit eigenen unverwechselbaren Zeichen. In dieser zärtlichen Zuwendung zum Stillen, zum unbeachteten Detail von Flora, Fauna oder Mineral baut sich Fritz inmitten eines lärmenden voll technisierten Umfeldes mit seiner Bildlyrik eine Insel des Überschaubaren, der Wärme.

Doch die Zeichen allein genügen nicht. Sie sollen Bilder werden, große Bilder aus Federn, Spiralen, Schlangen, Blumen in der Fläche sich entwickelnd, die Fläche muss erobert werden. Die Form der erworbenen, zu Zeichen gewordenen Wirklichkeitspartikel wird zurückgenommen, erscheint als Negativform, als Aussparung in der farbigen Bildwelt. Sie ist selbst zur Urfläche geworden, um die herum das Bild entsteht und die sie selbst bezeichnet bzw. vertritt. Die tatsächliche Körperlichkeit dieser Vor- Bilder ist dem Künstler bekannt. Aber sie müssen in die Fläche. Um die geht es, diese wird immer mehr erfasst. Heller- und Dunklerwerden des Umfeldes, räumlich plastische Bildfläche steht vor der ausgesparten Erzählung von einstigen Gegenständen oder Lebewesen. Einige dieser ursprünglichen Gegenstände verwandeln sich vom Zeichen zum Strukturprinzip. Beispiel: Schnecke transformiert sich zum Zeichen Spirale. Spirale wird zum Handlungsträger des Gesamtbildes, Bildzeichen wird Metasystem. Der Mikrokosmos Schnecke findet sich als dynamisches Prinzip des Bildaufbaus wieder. So im Bild ,, Le coque est mort". Das Alphabet bestimmt die Syntax.

Die Glyphen finden sich als Träger der Bildidee einmal zentrifugal in die Fläche geschleudert, andermal monoton diagonal geordnet, mal in verschiedenen Größen gestreut, mal antistatisch verteilt, andermal zyklisch gereiht, mal kontrapunktisch dramatisiert, aber immer webend auf der Bildfläche tätig. Eine je nach Bild weniger kompakte oder dichtere Verknüpfung hält die Hauptträger der Form zusammen, ein Teppich entsteht. Gewoben, Teppich, Textur, Text. Auch hier ein Verfahren dem des Dichters gleich. Bild-Sprache, hingeschrieben in persönlichen Lettern. Sowohl von der Aneignung der visuellen Wirklichkeit bis zur Zeichenbildung als auch im Anordnungs-verhalten auf der Fläche ist das Verfahren so eminent sprachlich, lyrisch oder episch, ohne dabei Literatur zu werden, dass der spätere Entschluss sich in der Buchkunst zu versuchen, fast zwangsläufig erscheint.

Doch vorher noch der erste Parisaufenthalt. Die Farben werden kräftiger, die Verschränkung von Malgrund - Glyphe und positiv behandeltem Bildgrund wird malerischer. Die Farbflächen zu Weiß stoßen weniger hart aufeinander. Der Kontur wird durch eine vermittelnde Farbe umspielt ohne dabei exakt dessen Verlauf zu folgen. Die Art dieser Nachkonturierung durch eine spielerisch frei angrenzende Linienfläche, die den Kontur selbst nicht tierisch ernst nachzieht, sondern Luft zum Atmen der Farben lässt, changieren zugesteht, erstellt ein höchst lebendiges Relief. Negativform und umgebende Farbfläche finden sich zu illusionistischer Körperlichkeit zusammen, die Bildfläche wird zur präzis nicht nachvollziehbaren Räumlichkeit, Formen verschwinden in der Tiefe oder tauchen wieder auf. Rhythmus durchpulst die Textur, aber ein freier Rhythmus. Des Simonides Formel, dass Dichtung sprechende Malerei und Malerei stumme Dichtung sei oder zu sein habe, hier haben wir es wieder. ,,ut pictura poesis". Wo sind die Grenzen ? Zum Zeichen geronnene Realität Bildfläche als reiche Textur und pulsierender Rhythmus, die Affinität der Bildkunst zu Sprache, insbesondere zu Lyrik, ist solcher Maßen stark, dass die Entscheidung ein Künstlerbuch zu machen, einen vorgegebenen Text Bild werden zu lassen, zwingend werden musste und sie blieb auch nicht aus."

Das war 1989. Wie jeder sehen kann, Reinhard Fritz ist immer noch da in aller seiner Vitalität, Lebenslust und Schaffenskraft. Was vor 26 Jahren erhellend und zutreffend zur Malerei von Fritz festgehalten wurde, hat noch immer seine Gültigkeit. Das heißt aber nicht, dass sich nichts geändert hätte, z.B. in Sachen Material und Technik oder bei Themen und Weiterführung des glyphischen Systems. Ins Auge fällt zunächst die technische Fortentwicklung die Malfläche, die Grundierung und die Malmittelverwendung betreffend. Die Acrylfarbe ist noch stärker verdünnt, dadurch transparenter und leuchtender geworden. Die komplizierte Technik der Überblendung, d.h. die Abfolge der Schichten erreicht eine kaum mehr zu überbietende Perfektion. Alte bekannte und neue Glyphen addieren sich zu experimentellen Serien, zu originellen Kompositionsmustern und Rasterfolgen - aber nie bedrängt, immer frei waltend. So entstand ein bemerkenswertes und umfangreiches Gesamtoeuvre.

Zwei Aspekte mögen abschließend Beachtung finden. Zunächst die Titelfrage.

Als Malraux 1947 in seinem ,,Musee imaginair" nicht ganz ohne Sorge konstatierte, dass die Gegenwartskunst nichts mehr erzähle, war das natürlich nicht absolut zutreffend (z.B. Surrealismus etc.), gemeint war, dass sich die großen Meister des 20. Jhs. nicht mehr einer allgemein lesbaren idioma universal bedienten, dass sich vielmehr jeder einzelne Künstler eher monologisch, d.h. in einer nur vom Künstler selbst lesbaren ,,Schrift" äußerte. Das Schlüsselloch, durch das der uneingeweihte Betrachter Einblick ins Hermetikum bekam/bekommt, war/ist der Titel des Werkes. Das Problem auf den Punkt gebracht hat Gercke (Am Anfang war das Wort, in: Kunstforum, Bd. 33, 1979).,,Eine spezielle Schwierigkeit im Gebrauch von Wort und Bild besteht darin, dass wir zwar gelernt haben, mit Begriffen umzugehen, nicht aber jedoch wirklich, d.h. aktiv und kritisch zu sehen. Auch im Umgang mit Bildern suchen wir zunächst und ausschließlich den Begriff, was dahinter steht, was das Dargestellte bedeutet... Diese Abwertung des sinnlich Erfassbaren zugunsten einer durch das Bild lediglich vermittelten höheren, wichtigeren Realität hat in der abendländischen Geschichte eine lange Tradition."

Schon 1981 bei der zweiten Einzelausstellung, hatte die Rezensentin der SZ süffisant angemerkt: ,,Mit den Titeln, die unabhängig von den Bildern eine eigene Dimension beanspruchen, soll so etwas wie jeweilige Stimmungslage des Bildes umschrieben, ein realer Erlebnishintergrund benannt werden", doch stelle sich die ,,Frage, wie sich das Bild ohne Titel verhält". Drei Jahre später erläutert Annette Pfaff .,,die Titel der Bilder sind zwar hilfreich, aber nicht unbedingt nötig". Mit anderen Worten, die Titel sind bestenfalls assoziativ, keinesfalls deskriptiv erklärend.

Am sinnvollsten löst man die heute vorherrschende Dichotomie von Bild und Titel, wenn man sich erinnert, was Cézanne zum Schöpfungsprozess eines Bildes seinem Freund und Förderer Gasquet dazu eingesteht: ,,(des Malers) Wollen muss schweigen...im Grunde denke ich an gar nichts, wenn ich male. Ich sehe Farben. Ich gebe mir Mühe, ich habe Freude daran, sie so, wie ich sie sehe, auf die Leinwand zu bringen. Sie ordnen sich auf gut Glück, wie sie wollen. Manchmal gibt es ein Bild. Ich bin ein Tier, sehr glücklich, wenn ich ein Tier sein könnte".

Grade dieser Ansatz ist es, den ich die letzten 26 Jahre an Reinhard Fritz geradezu bewundert habe, seine Ruhe in sich selbst, seine unaufgeregte Art und Geradlinigkeit, mit der er einen behutsamen Schritt nach dem anderen gesetzt hat, unbeeindruckt vom jeweils vorherrschenden Mainstream der Kunstszene. Seine Kunst verdient das hohe Prädikat, originär und authentisch zu sein.

Wiederum Annette Pfaff hat uns in ihrer langen Kenntnis der Bilder von Fritz eine diplomatische Formel für das Dilemma das Bild und sein Titel geliefert: Alle die Zeichen und Bilder von Fritz ,,übermitteln Sinngehalte und können als des Malers Symbole gesehen werden für Daseinsfreude, Leben usw." Mit den Begriffen wie Daseinsfreude und Leben möchte ich abschließend ein völlig unzeitgemäßes Argument bewegen. In ihrer Musikalität erfüllt die Gesamtheit der Werke von Reinhard Fritz die Kriterien eines tema con variaciones. Mit den diversen, prismatisch übereinander gelegten Farbbahnen gestatten die Bilder in ihrer kristallinen Klarheit einen Blick in eine gläserne Welt, in der das Licht und das Leben gefangen sind. Und das empfindet der Betrachter angenehm, ja schön. Darf Kunst auch schön sein?

Ich kenne weder die Bedingungen für die Zuerkennung des Seerosen-Ringes, noch die Argumente der zuständigen Jury. Ich möchte mich aber der Entscheidung für Reinhard Fritz voll und ganz anschließen mit der Begründung: De artibus bene meritus est.


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